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Anekdoten und Erlebnisse um den "Kna"
Es gibt kaum einen Dirigenten, um
den sich mehr Anekdoten und Bonmots ranken, als um den "Kna".
Als bärbeißig wird er geschildert,
schlagfertig und kurz angebunden, geradlinig mit trockenem Witz.
Verletzend grob, aber auch sensibel und mitfühlend konnte er sein
- die sprichwörtliche Verkörperung der rauen Schale um den weichen
Kern.
Legendär wurden seine Reaktionen auf Vorgänge im Dritten Reich: So soll er in einem Zornesausbruch
einen Aschenbecher nach dem Lautsprecher geworfen haben, aus dem die Rundfunkübertragung einer
"Führeransprache"
erschallte, weswegen die gerade abgehaltene "Meistersinger"-Probe
unterbrochen werden musste. - "Diese Nazihippe singt bei mir nicht" soll er
gesagt haben, als er ersucht wurde, eine Sängerin, welche
bekannterweise dem Nationalsozalismus zugetan war, zu
engagieren....
Der
fehlende Rhythmus
In
den frühen 50er Jahren sang eine junge Debütantin in Bayreuth
eines der Blumenmädchen im Parsifal. Bei den rhythmisch heiklen
Einwürfen kam sie – schon in den ersten Proben – immer wieder
aus dem Takt und Kna wurde ärgerlich. Die Situation drohte zu
explodieren, da versuchte Wilhelm Pitz, der sehr erfahrene
Chorleiter, zu vermitteln. Es kam zu einen Gespräch im kleinen
Kreis. Pitz gab zu bedenken, dass diese Partien sehr schwer
seien, die junge Sängerin – auch in Folge der Kriegsjahre und
der Flucht keine große Routine hätte… und so weiter und so
fort. Kna hörte sich ruhig die Verteidigungsrede von Pitz an,
dann aber sagte dieser alte Raubautz für ihn sehr Typisches:
«Ja, ja, der liebe Gott hat Dir eine wirklich schöne
Stimme gegeben, ein hübsches Gesicht, einen schönen Busen und
einen schönen Arsch dazu; aber Rhythmus hat er Dir leider
nicht geschenkt.» Die Sängerin durfte dann ihren Part singen,
Pitz half wo er konnte, und die Kuh war – dank des
Verhandlungsgeschicks von Pitz – vom Eis.
(von Gertrud Bina (1922-2012), Dozentin am
Richard Strauss-Konservatorium; weitergegeben von Joseph Kanz)
"Herr Foldes, haben Sie
Rhythmus?"
Der Pianist Andor Foldes hatte
folgendes Erlebnis mit Knappertsbusch, wo es wiederum um
den Rhythmus ging:
"Ich traf den großen alten legendären deutschen Dirigenten
Hans Knappertsbusch zum ersten Mal in seinem Künstlerzimmer
in Hamburg, einige Minuten vor unserer ersten Probe. Ich war
von Hamburgs Rundfunkorchester als Solist engagiert, um
Beethovens Drittes Klavierkonzert zu spielen. Ohne meine
Begrüßung zu erwidern, näherte sich mir der alte Riese und
schüttelte mich kräftig an den Schultern, während er mir mit
Furcht erregender Strenge in die Augen blickte und in
eindeutig unfreundlichen Ton fragte: "Herr Foldes, haben Sie
Rhythmus?"
Ich hatte seit Jahren viele Geschichten über ihn gehört,
über seine Unerbittlichkeit, wenn es darum ging, in seiner
musikalischen Auffassung auch nur den geringsten Kompromiß
zu machen. Ich war deswegen schon ziemlich eingeschüchtert,
bevor ich sein Zimmer betrat. Aber diese Art von Begrüßung
machte mich lachen. "Herr Knappertsbusch", sagte ich, "ich
kann Ihre Frage mit dem besten Willen nicht beantworten.
Wenn wir anfangen zu probieren, werden Sie selber
feststellen können, ob ich Rhythmus habe oder nicht." [...]
Die Probe fing an und wir spielten den ersten Satz des
Dritten Klavierkonzertes, ohne das wir ein einziges Mal
unterbrochen hätten, um etwas zu wiederholen.. Am Ende
dieses ersten Satzes wandte er sich zu mir und sagte im
grimmigen Ton: "Aber Herr Foldes, Sie sind ja ein ganz
famoser Musiker..." Das ganze Orchester lachte. Es war etwas
sehr Ungewöhnliches, so etwas hätten sie nie vorher von ihm
gehört, sagte mir später ein Musiker aus dem Orchester."
(aus dem Booklet Golden Melodram 4.0070, S. 9)
"Sonst stehlen ihn des Nachts die Bauern"
Was Kna vom Regietheater hielt zeigt folgende Anekdote:
Der angeblich verstaubte Weber'sche Freischütz musste modernisiert
werden, das war die Meinung der jungen Regisseure schon in den
60er Jahren. So musste zunächst die Dialoge dran glauben: Als
Hans Knappertsbusch erleben musste, dass ein für Dirigenten sehr
wichtiger Satz des Dialogs (…sonst stehlen ihn des Nachts die
Bauern…) gestrichen wurde – und alle Proteste
erfolglos waren – rächte er sich dann in der Premiere bei der
Textstelle Ottokars "… werft das Scheusal in die
Wolfsschlucht…" Laut vernehmlich rief er in das Publikum:
"Sonst stehlen ihn des Nachts die Bauern". Subtile Rache eines
großen Dirigenten an dem damals schon beginnenden «Regietheater».
(von Horst Stein, weitergegeben
von Joseph Kanz )
Kna, der "große Wagnerverehrer"
Bekanntlich war der "Kna"
ein großer Wagner-Verehrer - in künstlerischer Hinsicht. Dass
diese Verehrung nicht die gesamte Person Wagners umfasste, läßt
die folgende Anekdote vermuten:
Der verstorbene Bayreuther Oberbürgermeister Hans Walter Wild*
wusste zu erzählen, dass Knappertsbusch in feuchtfröhlicher Runde in
der "Eule" (der Künstler-Stammkneipe in Bayreuth, Anm. d. Verf.) ausgerufen habe:
Seitdem er die beiden Wagner-Enkel kennen gelernt habe, wisse er
erst, was für ein Arschloch
Richard Wagner gewesen sein müsse...
(aus Ernst Gebauer, Bernd Mayer: "Sternstunden von
Neu-Bayreuth", Druckhaus Bayreuth, 2007)
Der grimmige Scherz
Bei einer Aufführung der Neunten Symphonie
leistete sich Kna einen grimmigen "Scherz": Als der von
Karajan favorisierte Otto Edelmann einsetzte: "O Freunde,
nicht diese Töne", unterbrach ihn Knappertsbusch und sagte
trocken: "Also, der heißt bloß Edelmann!" Die Alt-Solistin
Rosette Anday legte dem jungen Sänger tröstend die Hand auf
die Schulter .
(aus: Zeitschrift der Gesellschaft der Musikfreunde
in Wien, Nov. 2008: „Oder glauben Sie das nicht?“
Anekdotisches aus der Geschichte des Singvereins)
Die notorische
Probenunlust
Eines der Markenzeichen von
Hans Knappertsbusch war seine notorische Probenunlust, von weniger
gutmütigen Zungen auch als Probenfaulheit bezeichnet. Seine
typische Ansprache an das Orchester: "Meine Herren, Sie kennen das
Stück, ich kenne das Stück, dann auf Wiedersehen heute Abend"
wurde von Sängern, Orchestermusikern und den Mitgliedern der
schreibenden Zunft in diversen Variationen zitiert und als Bonmot
verbreitet. Eine Abart dieses Ausspruches hat der Autor Heiko
Bockstiegel sogar als Ttitel für sein Buch von 1996 über
deutschsprachige Dirigenten gewählt: "Meine Herren, kennen Sie das
Stück?".
Nun wird man berücksichtigen
müssen, das Knappertsbusch nahezu ausschließlich mit namhaften
Orchestern, viele davon von Weltrang, musizierte, bei denen er
solide Repertoire-Kenntnisse und fundiertes handwerkliches Können
voraussetzen konnte, sodass die Probenarbeit in vielen Fällen kaum
notwendig war und die dadurch erhaltenen Energiereserven des
Orchesters der abendlichen Aufführung zugute kamen. Dass dieses
Verhalten von dem "Kna" zudem seine Beliebtheit bei den
Orchestermitgliedern nicht unbedingt schmälerte, versteht sich
fast von selbst.
Wie gut dieses Vorgehen in der
Regel funktionierte, soll die folgende kleine Geschichte belegen:
Im November 1955 stand die glanzvolle Wiedereröffnung der Wiener
Staatsoper nach dem Krieg bevor, und Knappertsbusch hatte von den
sieben Neuinszenierungen, die aus diesem Anlass gezeigt wurden, den
Rosenkavalier zu
dirigieren. Schon die erste Orchesterprobe soll er mit den Worten
abgebrochen haben:
"Meine Herren, Sie kennen den
Rosenkavalier, ich kenne den Rosenkavalier - wir sehen uns bei der
Bühnenprobe."
Der Erfolg gab dem "Kna" recht:
Über die Premieren-Aufführung schreibt z. B. der österreichische
Musikkritiker Heinrich Kralik
am 18. 11. 1955 in der Zeitung "Die Presse": "Man hört eine
schwungvolle, impulsive Darstellung. Mit genießerischer
Kennerfreude werden zumal die klanglichen Schönheiten und
Feinheiten vor dem Hörer ausgebreitet." Die gelungene musikalische
Darbietung wurde für die Nachwelt mitgeschnitten, sodass man sich
auch heute noch von deren hohen Qualität überzeugen kann.
(aus dem Booklet zu: "Wiener Opernfest 1955, Highlights" von
Orfeo)
Der Fliegergeneral
Hans
Hotter*, der renommierte Wagnersänger,
erinnert sich an ein Ereignis mit Kna an der Wiener Staatsoper
während der Kriegszeit:
"Meine liebste Kna-Geschichte handelt von einem Vorsingen in der
Wiener Staatsoper während des Krieges. Ich habe sie selbst
miterlebt, als ich für einige Vorstellungen nach Wien gekommen und
eines Vormittags ein Vorsingen auf der Bühne angesetzt worden war.
Teils aus Neugierde, teils aus Langeweile begab ich mich zur
festgesetzten Stunde in den Zuschauerraum, wo sich bereits alle
sogenannten Vorstände des Hauses versammelt hatten: Direktoren,
Vizedirektoren, alle Kapellmeister einschließlich Knappertsbusch,
Korrepetitoren, Regisseure mit ihren Assistenten,
Direktionssekretäre und Sekretärinnen, eine Reihe von Solisten,
Chorherrschaften und viel Leute von außerhalb. Auf der völlig
leeren, riesengroßen Bühne stand vorne rechts ein Klavier, kein
Flügel, ein Klavier, bei den Proportionen der Bühne winzig wirkend,
an dem, mit dem Rücken zu uns ein Korrepetitor namens Meid saß, ein
schmächtiger, unscheinbar wirkender kleiner Mann, aber ein
ausgezeichneter Musiker und Pianist, der die Vorsingenden begleiten
sollte. Auch er wirkte auf der Riesenbühne noch kleiner, als er
ohnehin war. Der Ablauf der Vorsingprozedur lag in den Händen des
Operndirektors Dr. Kerber.
Zuerst kamen drei Sänger mit unattraktiven Durchschnittsstimmen, die
mit dem Bescheid "Sie werden benachrichtigt" entlassen wurden. Dann
kündigte Dr. Kerber an: "Der nächste Kandidat ist ein Tenor, kommt
aus Berlin und ist Beamter im dortigen Luftfahrtministerium. Er wird
von seinem Chef Hermann Göring persönlich betreut, als besondere
Begabung gefördert und wurde von diesem zur Beurteilung seiner
Stimmmittel zu diesem Vorsingen nach Wien geschickt."
Das Staunen der Zuhörer wuchs, als ein kleiner, etwas dicklich
untersetzter Herr die Bühne betrat. Er begann zu singen - es war
schlimm, so schlimm, dass sich Kerber zu Kna wendete und meinte:
"Ich glaube, das erübrigt sich, wir haben genug gehört."
Aber Kna sagte mit der ernsthaftester Miene der Welt zum Erstaunen
der Zuhörenden: "Wieso? Der Herr ist eigens aus Berlin gekommen, von
Herrn Göring empfohlen. Jetzt soll er auch mal ordentlich singen."
Der kleine Dicke fuhr fort zu singen - es wurde immer ärger. Bei der
dritten Arie lief sein Gesicht rot an, und die Stimme klang gequält.
Er raffte sich zu fünf Titeln auf, die Stimmung im Zuschauerraum
wechselte zwischen Entsetzen und Erheiterung.
Der Sänger verließ erschöpft und deprimiert den Schauplatz der
Handlung. Für eine Weile herrschte absolute Stille. Auf der Bühne
stand nur noch das Klavier, und davor saß der kleine Meid, der
anscheinend noch auf weitere Vorsänger wartete. Da durchbrach Knas
Stimme unbarmherzig das Schweigen: "Na, da wollen wir mal im
Gegenzug Herrn Meid nach Berlin schicken und ihn Herrn Göring als
Fliegergeneral vorschlagen." Die "Empfehlung" löste schallendes
Gelächter aus - und es brauchte Mut, in der damaligen Zeit eine
solch offene Verhöhnung zu wagen!"
( aus: Hans Hotter: "Der Mai war mir gewogen....".
Erinnerungen, Kindler Verlag, München 1996 )
Die Geschichte mit der Feder
Wenn Knappertsbusch in
Bayreuth auftrat, ging er zum Essen gerne in den Bayerischen Hof.
Dort passierte die stadtbekannte Geschichte mit der Feder. Hans Seuss, der Inhaber des Bayerischen Hofs
erzählt, was sein Vater erlebte:
"Es war die Zeit, da trugen die Damen gerne große Federn auf ihren
Hüten und so eine Dame saß mit Hut im Lokal. Und es störte Herrn
Professor Knappertsbusch. Sonst saß er ja eigentlich immer mit dem
Rücken zum Publikum, aber er sah diese Feder und es störte ihm
wahnsinnig. Da hat er meinem Vater gesagt: Entweder es verschwindet
diese Feder vom Hut der Dame oder aber er muss das Lokal verlassen.
Dann ist also mein Vater hingegangen, mit einer Schere bewaffnet und
hat der Dame gesagt: »Der Herr Professor Knappertsbusch wünscht,
dass ich Ihnen die Feder abschneide!« Und - Gott, das hätte ja
völlig schief gehen können! Er stand nun vor der Alternative:
Entweder Herr Professor Knappertsbusch geht oder aber die Dame
verlässt verärgert unter großem Protest das Lokal.
Die Dame hörte das, war überglücklich,
dass der Herr Professor Knappertsbusch ausgerechnet wünscht, dass
ihre Feder abgeschnitten wird und hat gesagt: »Die kommt bei mir in
die Vitrine, das ist eine ewige Erinnerung daran, dass eben der
Wunsch von diesem großen Dirigenten ausging.«
Es gelang, die Feder wurde abgeschnitten, Herr Professor
Knappertsbusch hat sich beruhigt und der Abend war gerettet."
(Aus einem Fernsehinterview 1975.)
Anmerkungen:
a) Recherchen ergaben: Die Geschichte muss sich 1951 oder
1952 abgespielt haben. b)
Die gleiche Geschichte, stilistisch aufpoliert, liest sich in dem
Buch "Bayreuther G'schichtla" wie folgt: Link
"Wissen Sie noch: Fis!!"
Berühmt
war der Kna auch wegen seines guten Gedächtnisses. Walter Theurer, Soloflötist
des Bayerischen
Staatsorchesters, schildert folgende Begebenheit:
"...Sein Gedächtnis war ja phänomenal.
Die längsten Wagner-Opern: Er schaute nie in die Partitur -
obwohl er sie aufliegen hatte. Zwischendrin nahm er mal eine
Handvoll Seiten, schlug sie rüber, ohne hinzuschauen, was er
aufgeschlagen hatte, und dirigierte weiter. Es war erstaunlich!"
Dann
weiter: "Eine meiner letzten Begegnungen mit Kna
war in der Leopoldstrasse. Ich ging Richtung Siegestor, er
kam mir entgegen, und so fünf Meter vor mir blieb er stehen.
Ich ging weiter, er setzte mir seinen Schirm auf die Brust
und sagte: »Na, T(h)eurer! Sie waren doch noch ein Kind, als
ich Sie engagiert habe. Sie trugen doch noch kurze Hosen!«
Und dann: »Wissen Sie noch: Fis!!«. - Ich wusste es schon: Vor einigen
Jahrzehnten hatte ich mich mal geirrt, hab' statt f fis
geblasen. Das wusste er
noch. Dann zwinkerte er mir zu und ging weiter."
(Aus einem Fernsehinterview 1988)
Die fehlende
Disziplin
Otto
Strasser*, Vorstand der Wiener Philharmoniker
von 1958 bis 1967, erzählt:
"So unkompliziert »Kna«,
wie wir ihn nannten, zu sein schien und wie wenig er auf seine doch
immer vorhandene Autorität pochte, so konnte er auf Verstöße gegen
die Disziplin doch sehr empfindlich reagieren. Einmal, während einer
Siegfried-Aufführung hatte vor Beginn des zweiten Akts eine Gruppe
von Blechbläsern das Zeichen für das Pausenende überhört.
Knappertsbusch kam ans Pult gestürzt, begann, ohne sich umzusehen,
zu dirigieren, die Pauke setzte mit ihrem Pianissimo-Tremolo ein;
und als er der solistischen Tuba den Einsatz gab, musste er
feststellen, dass der Tubist fehlte. Dazu noch der erste Trompeter
und Andere. Er war gezwungen abzuklopfen, zu warten, bis die Sünder
erschienen, und konnte erst dann von Neuem beginnen. Nach diesem
Vorfall war er buchstäblich ein volles Jahr auf uns böse und keiner
Annäherung zugänglich."
(Aus: Otto Strasser: "Und dafür wird man noch bezahlt", Paul
Neff-Verlag 1974, S. 138)
"Nö, jetzt ist es schon probiert."
Ein Paradebeispiel der bündigen Art des mitunter auch
gefürchteten Orchestererziehers ereignete sich anlässlich eine
Orchesterprobe zu einem Programm, das mit Webers
"Euryanthe"-Ouvertüre eröffnet werden sollte. Otto
Nielen, ehemaliger Tonmeister beim WDR erzählt:
"Alles begann damit, dass Knappertsbusch an diesem Tag
Geburtstag hatte und mein damaliger Chef ihm einen großen
Blumenstrauß überreichte. Knappertsbusch knurrte ein kurzes
»Danke«, knallte die Blumen auf die Ablage unter dem
Dirigentenpult und gab dem Orchester den Einsatz.. Dann kam die
Ouvertüre in einem entsetzlich langsamen Tempo von Anfang bis
Schluss. Als alles vorbei war, drehte er sich zu uns um und
meinte: »Scheißstück!«. Mein Chef sprang ganz schockiert auf und
sagte: »Aber Sie haben dem Programm doch zugestimmt!« »Trotzdem
Scheißstück!« insistierte Knappertsbusch. Als mein Chef ihm dann
anbot, ein anderes Werk zu spielen, konterte er: »Nö, jetzt ist
es schon probiert!«"
(zitiert aus Fono Forum 07/07)
"Das nächste Mal,
wenn ich Sie wieder nicht erkenne, treten Sie mir in den Arsch."
Hin und wieder fand sein Grobheit auch selbstreferenzielle
Anwendung. Dazu schildert der bekannte Bass-Bariton Hans Hotter* ein Erlebnis:
"... Das nächste Mal begegnete ich ihm (Knappertsbusch) [...] auf
dem so genannten »Direktionsgang«, dem hochheiligen Korridor, auf
den Türen sämtlicher Direktoren, Direktorensekräterinnen- und
Direktionsangestelltenzimmer der Wiener Staatsoper münden. Er schoss
auf mich zu und brummte: »Neulich haben Sie mich gegrüßt und ich hab
Sie leider nicht gleich erkannt. Das
nächste Mal, wenn ich Sie wieder nicht erkenne, treten Sie mir in
den Arsch. Großartiger Jochanaan
übrigens, neulich«, und schon war er wieder weg."
(zitiert aus Hans Hotter: »Der Mai war mir gewogen...«)
Auch der
deutsche Tenor der fünfziger und sechziger Jahre, Fritz Wunderlich*, hatte zwei Begegnungen mit Kna.
Folgendes trug sich bei der ersten Begegnung 1960 zu:
...Die Aufführung hatte schon begonnen, als Wunderlich
ins Theater kam. Schnell ging er in seine Garderobe, sang sich
kurz ein, ließ sich vom Maskenbildner in einen italienischen
Tenor verwandeln und kam dann - mit der gesamten »Antichambre« -
wie es die Marschallin anordnet - auf die Bühne. Der
Haushofmeister führte ihn samt dem ihn begleitenden Flötisten
sofort nach vorne an die Bühnenrampe.
"Wie er da unten im Orchestergraben
Knappertsbusch dirigieren sah", erzählte Eva Wunderlich,
"erstarrte er in Ehrfurcht. Kurz vor dem Einsatz zu seiner Arie,
an einer intrikaten Stelle, kiekste einer der Hornisten. Kna,
unbeirrt weiterdirigierend, schaute zu ihm hinüber und reagierte
mit nur einem Wort: »Arschloch!«. Drei Reihen ins Parkett
hinein hörte man das mindestens und selbstverständlich
auch auf der Bühne. Dann sang Fritz seine Arie. Und wie er damit
fertig war, salutierte ihm Kna, wiederum mit der Rechten unbeirrt
weiterdirigierend, mit der Linken auf
die Bühne hinauf. Eines der ganz seltenen Zeichen seiner
Zufriedenheit."
Nach Aktschluss ging Knappertsbusch noch kurz
in Wunderlichs Garderobe, um sich bei dem Neuling persönlich zu
bedanken. Brennend gern hätte Wunderlich diesen leicht
verschrobenen, irgendwie geheimnisvollen und doch so gütigen
Menschen näher kennengelernt...
(Nach einem Interview, dass der Buchautor Werner Pfister mit Eva
Wunderlich, der Witwe Fritz Wunderlichs, führte. Aus Werner
Pfister: "Fritz Wunderlich", Schweizer Verlagshaus, Zürich )
Das ornithologische Problem
Eine der
berühmtesten Begebenheiten war der Kampf um die Taube, die der
Kna mit Wieland Wagner führte. Der sehr gegenständlich denkende
Knappertsbusch konnten den abstrakten Lichtgebilden, durch
welche Wieland die Taube ersetzt hatte, nichts abgewinnen. Um
ihn zu einer Rückkehr nach Bayreuth nach seinem Fernbleiben 1953
wiederzugewinnen, sah sich Wieland zum Einlenken genötigt, ein
Einlenken, das jedoch mit einer gewissen listigen Raffinesse
einherging. Wolfgang Wagner* erinnert sich:
"Daß Hans Knappertsbusch ungeachtet seiner anfangs harten und
rigoros ablehnenden Äußerungen gegen Wieland, mit Ausnahme des
Jahres 1953, dann doch jedes Jahr wieder nach Bayreuth kam,
beruhte letztlich auf seiner großen Verehrung für das Wagnersche
Gesamtkunstwerk.[...] Seine Wiedergewinnung als
»Parsifal«-Dirigent für Bayreuth war für uns nicht ganz leicht.
Es forderte als das mindeste an Entgegenkommen unsererseits, daß
Wieland am Schluss des Werkes die von Richard Wagner vorgesehen
Taube zeigen müsse, die über den Gral herabschwebt. Mein Bruder
war zunächst sehr unschlüssig, ob er diesem Ansinnen, das ihm
sehr gegen den Strich ging, nachkommen oder auf Knappertsbusch
verzichten sollte. Schließlich verfielen wir nach reiflichem
Abwägen auf eine »raffinierte« Lösung des ornithologischen
Problems. Die Taube wurde aus dem Schnürboden so weit
heruntergelassen, dass Knappertsbusch sie zwar vom Pult aus
gerade noch sehen konnte, sie für das Publikum im Zuschauerraum
aber unsichtbar blieb. Nun, die Taube schwebte - der Glaube
lebte...
Nach der Aufführung feierte Knappertsbusch mit seiner Frau und
einigen Freunden das Ereignis seiner Wiederkehr nach Bayreuth.
Dabei stellte er mit versöhnter Befriedigung fest: »Endlich hat
der Wieland wieder die Taube gezeigt«. Seine Frau, die bei
seinen Dirigaten immer in der ersten Reihe saß, stutzte und
erwiderte dann: »Hans, ich habe keine Taube gesehen«. Prompt kam
die knurrige Antwort: »Ihr blöden Weiber seht ja sowieso
nichts!« Doch ein wenig irritiert und argwöhnisch musste der
Meister doch geworden sein, denn er holte sich nähere
Informationen ein, die ihm die Täuschung, der er erlegen war,
bestätigten. Und so wurde die schon geflügelte Wendung »Wieland,
der Halunke« erneut zum festen Begriff in seiner
Umgangssprache."
(aus Wolfgang Wagner: Lebensakte, Albrecht Knaus Verlag)
Dem Vernehmen nach hatte die Geschichte noch eine
Fortsetzung: Einige Tage später erschien Knappertsbusch im
Arbeitszimmer Wielands und warf ihm wortlos ein Stück
Bindfaden auf den Schreibtisch ...
Bis er Knappertsbusch
erlebte
Über den bekannten
Bildhauer Hans Wimmer (1907 - 1992) ist in einer
Gedenkschrift zu lesen:
Er [...] schwankte lange, ob er sich der Bildhauerei oder
der Musik zuwenden solle. Er wollte Dirigent werden. Bis er
Knappertsbusch erlebte und erkannte, daß sein Weg der des
Bildhauers sei.
(aus: Orden Pour Le Merite für Wissenschaften
und Künste, Reden und Gedenkworte, vierundzwanzigster Band
1993-1994, Verlag Lambert Schneider • Gerlingen, S. 18 )
Fortsetzung folgt...