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Zum Aufsatz von Hans Rudolf Vaget im wagnerspectrum 2011 / 2

Stand: 05. August 2012  (Revision 1)


Das "wagnerspectrum" 2011 , Heft 2, erschienen Ende 2011, hat den Schwerpunkt: "Thomas Mann und Wagner".  Darin enthalten ist der Aufsatz von Hans Rudolf Vaget: "Thomas Mann, Wagner und der Fall Knappertsbusch" (S. 21 bis 36)



Korrektur einiger Falschaussagen des Aufsatzes


Falschaussage 1:

"Knappertsbuschs große Zeit kam nach dem Zweiten Weltkrieg. Er wurde mit Ehren überhäuft: Ehrenbürger der Stadt Bayreuth, der Stadt München und der Ludwig-Maximilians-IJniversität, Bayrischer Verdienstorden sowie Ehrengrab auf dem Bogenhausener Friedhof in München, wo er auf dem Grabstein als ,,politisch Verfemter" erinnert wird." (S. 28)

Richtigstellung:
1) Das Ehrengrab von Hans Knappertsbusch auf dem Bogenhausener Friedhof enthält keinerlei Gedenktafel oder Inschrift, die ihn, wie Vaget behauptet, als "politsch Verfemten" erinnert. (Da der
Friedhof öffentlich zugänglich ist, kann sich jedermann davon überzeugen.)

Also eine Erfindung Vagets? Bei Klaus Bäumler ist in dessen Aufsatz folgende Passage bei der Kurzbeschreibung von Knappertsbuschs Lebenslauf  zu finden:
"...1951 erstes Dirigat in Bayreuth; Ehrenbürger der Stadt München 1963; Ehrengrab auf dem Bogenhauser Friedhof. 2004: »Als Hans Knappertsbusch 1934 als politisch Verfemter zusammen mit Clemens von Franckenstein gehen mußte, blieb die Münchner Oper für zwei Jahre nahezu verwaist. Sein Name aber wurde zur Legende.« (Zit. n. : http://www.bayerische.staatsoper.de/c.) ..." (1)

Nur bei flüchtigem Lesen kann man das "Ehrengrab" mit dem anschließendem Zitat von der Homepage der Bayerischen  Staatsoper zusammenziehen und das Zitat zu einer Grabinschrift ummünzen. Von einem Literaturprofessor - wenn auch emeritus - sollten man einen gewissenhafteren und sorgfältigeren Umgang mit Quellenmaterial voraussetzen dürfen.



2) Die Ernennung von Knappertsbusch zum Ehrenbürger der Ludwig-Maximilians-Universität war bereits 1924 und nicht wie Vaget schreibt, nach dem zweiten Weltkrieg. Weiter sei angemerkt, dass beispielsweise seine Ernennung zum Münchener Generalmusikdirektor auf Lebenszeit  bereits vor der Zeit des Dritten Reiches erfolgte. Vaget irrt also, wenn er behauptet, dass Knappertsbuschs "große Zeit", erst nach dem zweiten Weltkrieg begonnen hätte.

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Quellenangabe:
(1) Klaus Bäumler: "Thomas Mann und der »Protest der Richard- Wagner-Stadt München« ( 1933)" enthalten in "Thomas Mann in München II, Vortragsreihe Sommer 2004", Thomas Mann Schriftenreihe Band 4, Anja Gärtig Verlag, München 2004, S. 282


Falschaussage 2:

"Was Hitler selbst anbelangt so durfte jeder Kenner der Szene davon ausgehen, dass der zum Reichskanzler aufgestiegene glühende Wagner-Verehrer bald auch der de facto Oberherr der Bayreuther Festspiele sein würde. Alle Anzeichen sprechen dafür, dass Knappertsbusch, im klaren Bewusstsein dieser Zusammenhänge, sich in eine möglichst günstige Position bringen wollte für eine baldige Berufung nach Bayreuth. Dass Hitler am 1. Januar 1933 in München eine von ihm dirigierte Meistersinger-Aufführung besuchte, durfte er als ein gutes Omen werten. Und so wandte er sich denn auch direkt an ,,Reichskanzler Adolf Hitler" in ,,Obersalzberg bei Berchtesgaden", um möglichst rasch in dieser Sache bei dem künftigen Oberherrn von Bayreuth vorstellig zu werden. Das betreffende kurze Schreiben des ,,Bayrischen Staatsoperndirektors" ist undatiert; offenbar wurde es kurz vor den Osterfeiertagen 1933 abgesandt, also unmittelbar vor Veröffentlichung des ,,Protests" gegen Thomas Manns Wagner-Rede. Er ,,wäre unendlich dankbar", schrieb Knappertsbusch, ,,wenn es möglich wäre, gleich nach den Feiertagen eine kurze Audienz in dienstlicher Angelegenheit zu erhalten." [Hans Knappertsbusch an Adolf Hitler, undatiert (in Rudolf Betz, Walter Panofsky, Knappertsbusch)] Zu einer solchen Audienz ist es offenbar nicht gekommen; Knappertsbuschs Anliegen wurde ignoriert. Warum ihm die ersehnte Einladung nach Bayreuth während der ganzen Hitler-Herrschaft nicht zuteil wurde, steht auf einem anderen Blatt, wobei jedoch zu bemerken ist, dass seine unfreiwillige Abstinenz von den Bayreuther Festspielen während des Dritten Reichs ihm in der Nachkriegszeit, als er zum ,,Großsiegelbewahrer" Wagners aufstieg, durchaus zum Vorteil gereichte. Hitler war offenbar nicht gesonnenen, eine Einladung zu veranlassen." (S. 32)


Richtigstellung: Das zitierte Buch von Betz / Panofsky, welches das Knappertsbusch-Telegramm an Hitler belegen soll, enthält keinerlei Aussagen über ein Telegramm an Hitler, über ein Audienzgesuch oder ähnliches. Die Worte "Telegramm", "Hitler" und "Audienz" tauchen im ganzen Buch nirgends auf. Es fällt auf, dass Vaget auch keine konkrete Seitenangabe macht, wo dies stehen solle. (Das genannte Buch ist in verschiedenen Bibliotheken verfügbar, z. B. Bayerische Staatsbibliothek, Signatur Mus.th. 4802 nb ) Also liegt auch hier erneut eine Erfindung Vagets vor.

Anzumerken wäre darüber hinaus, dass, gesetzt den Fall, Knappertsbusch hätte so ein Telegramm tatsächlich abgeschickt, der angebliche Inhalt dieses Telegramms keinen Schluss auf die Absicht Knappertsbuschs zuläßt, aus welchem Grund er sich an Hitler gewandt haben möge. Auch hier ist die Behauptung Vagets, Knappertsbusch wollte sich für Bayreuth empfehlen, rein spekulativ und durch keinerlei Fakten zu erhärten.




weitere Anmerkungen zu einzelnen Abschnitten das Aufsatzes:

Abschnitt 3

"Selbst Knappertsbuschs in ihrer Art großartigen, unter Altwagnerianern legendären Wagner-Dirigate waren bereits in Neu-Bayreuth, wo er von 1951 bis 1964 tätig war und 95 Aufführungen leitete, ein Auslaufmodell; der heutigen Generation von Dirigenten gelten sie nicht als vorbildlich." (S. 27)

Immerhin: "in ihrer Art großartigen Dirigate"; Hans Rudolf Vaget gibt sich zu Beginn der versuchten Demontage erst einmal generös. Der Schlag geht allerdings ins Leere, wie die Realität beweist. Dazu folgende Zitate:

Dass der Dirigierstil von Thielemann und Knappertsbusch einander ähneln, wird auch von anderen Opernkennern bestätigt. Es kann also kann also keine Rede davon sein, dass der  Knappertsbusch'schen Dirigierstil ein Auslaufmodell sei, wie Vaget dies gerne sehen würde, weder bei Dirigenten, noch in Bezug auf die Akzeptanz durch das Opernpublikum.

Abschnitt 4

"Offenbar sorgte er (Knappertsbusch) dafür, dass alle belastenden Dokumente zu der dummen Geschichte von 1933 aus dem Archivbestand der Bayrischen Staatsoper entfernt wurden". (S. 29) 

Ein Schalk, der behauptet, er hätte nicht auch daran gedacht. Doch eine Vermutung ist noch lange kein Nachweis. Offenbar ist lediglich das Fehlen dieses Nachweises, nämlich dass Knappertsbusch die Dokumente entfernte oder entfernen liess, sonst würde Vaget diesen wohl nennen. Tugendhaft wäre dies allemal. Natürlich ist es nicht verboten, über die Gründe des Fehlens zu spekulieren, nur sollte man diese Vermutungen, mögen sie noch so plausibel erscheinen, nicht als Tatsachen darstellen.

Abschnitt 5

Der einzige Abschnitt, der, geht man nach den Ausführungen Vagets, etwas Neues zum Thema enthält, nämlich das angebliche Telegramm an Hitler, und Knappertsbuschs angebliche Bayreuther Karrierepläne. Was im Wesentlichen dazu zu sagen ist, ist oben unter "Falschaussage 2" nachzulesen. Mehr als Hypothesen über Knappertsbuschs Karrierepläne ("Alle Anzeichen sprechen dafür", S. 32) hat Vaget jedenfalls nicht anzubieten.

Abschnitt 7

Ein Leserbrief von Wolfgang Reinhardt an die SZ zum "temperamentvollen" Artikel von Dieter Borchmeyer aus dem Jahre 2008 ("Der Teufel holte die Musik"), in der sich Reinhardt auf die Seite von Knappertsbusch stellt, hat Hans Rudolf Vaget offenbar so erregt, dass er ihm einen ganzen, wenn auch nur kurzen Abschnitt widmet. Dass eine einzelne, (im Vergleich mit Borchmeyers Artikel ebenso "temperamentvolle") Meinungsäußerung für Vaget bereits Grund genug ist, München auch "heute noch als Stadt der stehengebliebenen Wagnerei" zu bezeichnen (S. 35), stimmt schon recht merkwürdig. Das ist dem Autor wohl selbst aufgefallen, also muß die Hans-Knappertsbusch-Gesellschaft als angeblicher Teilhaber dieser Gesinnung herhalten, eine Gesellschaft, von der Vaget ein paar Seiten vorher richtigerweise feststellt, dass man von deren Haltung mangels Präsenz in der Öffentlichkeit ja gar nichts wüßte.





Gesamturteil:
Insgesamt kann gesagt werden, dass der Aufsatz Vagets mit einer sachlich-wissenschaftlichen Auseinandersetzung des Themas nichts mehr viel zu tun hat. Der Artikel ist angehäuft mit Flüchtigkeitsfehlern (gewollt?), falschen Zitaten, als Tatsachen präsentierten Vermutungen und Unterstellungen und tendenziösen Formulierungen. Bei allem Verständnis für die Antipathie der diversen Thomas-Mann-Freundeskreise gegen Knappertsbusch sollte man sich trotz allem verpflichtet fühlen, die Erörterung des Themas auf den Boden vorliegender Tatsachen und nachweisbaren Fakten betreiben, anstatt der eigenen Phantasie das Wort zu reden. Jedenfalls dann, wenn man den Anspruch der Wissenschaftlichkeit aufrechterhalten möchte.

Resümee: Ein peinlicher Aufsatz, der dem Ansehen des "wagnerspectrums" abträglich ist.